Sonntag, 17. November 2019

Und aus



Wieder daheim fülle ich den TeilnehmerInnen-Bericht für ERASMUS + aus, der im SPAM-Ordner gelandet ist. Kein Wunder bei dem Absender: replies-will-be-discarded@ec.europa.eu.

Dann schicke ich meine Antworten ab und bin doch nicht zufrieden. Etwas fehlt. Seit Tagen will ich meine spanische Schule vergleichen mit den Schulen, die ich hier in Österreich kenne. Am Formular von ERASMUS+ war kein Platz dafür, also tu ich es jetzt hier, in meinem letzten Blogeintrag.

Ich habe natürlich nur eine spanische Schule von innen gesehen und ein paar andere im Vorbeigehen, zum Beispiel einige Grundschulen in der Umgebung des IES Pedro Soto de Rojas sowie andere Sekundarias, an denen ich auf meinen morgendlichen Spaziergängen zur Schule vorbei kam. Auch ein paar Privatschulen sind mir aufgefallen, denn die SchülerInnen dort tragen Uniform und werden manchmal in sehr großen Autos gebracht. Sehr unpraktisch in den engen Gassen der Altstadt.

Jedenfalls basiert diese Zusammenfassung hier allein auf meinen Beobachtungen und Interviews: so oft es ging, stellte ich Eltern am Schulweg Fragen, wollte in Bars und Bäckereien wissen, was den Erwachsenen zum Schulsystem einfällt, hörte SchülerInnen 'meiner' Schule zu, wenn sie bereitwillig über Gutes und weniger Gutes erzählten. Ausführliche Informationen bekam ich vom Direktor der Schule, von der Kollegin, die meinen Stundenplan vorbereitete, von den wirklich herzlichen Kolleginnen und Kollegen sowie den anderen guten Geistern im Schulgebäude, von denen jede/r geduldig zuhörte, bis ich meine Frage auf Spanisch gestellt hatte, und dann drauf los erzählte.

Alsdann, ein Vergleich. El Instituto de Educación Secundaria Pedro Soto de Rojas hat etwa 800 SchülerInnen, die nach sechs Jahren Grundschule (in einem der umliegenden Colegios de Educación Infantil y Primaria) hier für weitere vier Jahre die Pflichtschule besuchen. Danach können sie einen Beruf erlernen (sich zum Beispiel gleich im selben Gebäude zur Pflegefachkraft für kranke und/oder alte Menschen ausbilden lassen), oder aber zwei weitere Jahre die Kurse des Bachillerato absolvieren, die mit Abschlussprüfungen im Mai enden und Voraussetzung sind für die Anmeldung zur Aufnahmsprüfung an einer Universität. Letztere dauert drei Tage im Juni und ist für alle Studierwilligen gleich (also standardisiert), während die exámenes finales an den Schulen erstellt und korrigiert werden. Die Noten dieser Prüfungen, die der beiden letzten Schuljahre und das Ergebnis des dreitägigen Tests entscheiden über die Zulassung zu einem Studium.

Soweit, so anders. Wie so vieles. Das Schuljahr ist dreigeteilt, heuer von der dritten Septemberwoche bis Weihnachten; von Jänner bis Anfang April; und von nach Ostern bis zum 23. Juni. Bis zum 16. Lebensjahr sitzen alle SpanierInnen in einer Gesamtschule (ja, Privatschulen gibt es auch, und manche staatliche Schulen sind besser als andere, höre ich, aber darüber müssen andere berichten). Die Jugendlichen können aus unterschiedlichen Zweigen wählen (wie auch an unseren AHS und BHS), aber es gibt keine Unterscheidung, die vergleichbar wäre mit unseren Mittelschulen und Gymnasien.  Je nach Größe einer Schule werden unterschiedlich viele Wahlfächer angeboten; für die (wenigen) SchülerInnen am IES Pedro Soto, die statt naturwissenschaftlicher Fächer den Weg der Humanidades wählen, gibt es Latein- und sogar Altgriechischunterricht, was mich freut. Zwei Jahre nur, aber immerhin. Und Musiktheorie und Kunstgeschichte und ein Fach, das sich mit sozialem Wandeln und Geschlechterrollen beschäftigt. Vieles ist möglich. Die Stundentafel des berufsbildendes Zweigs an 'meiner' Schule bietet nicht nur sehr viel Praktisches wie Kochen für alte und kranke Personen, mit denen die AbsolventInnen eines Tages arbeiten werden, sondern auch Arbeits- und Vertragsrecht, das eine Rechtsanwältin unterrichtet. Warum gibt es das Fach nicht für alle, hab ich sie gefragt. Und warum gibt es das bei uns an den Schulen gar nicht, frage ich mich jetzt.

Und warum haben wir in den österreichischen Schulen kein Departamento de Orientación Educativa, in dem sich SonderpädagogInnen, Dyslexiespezialistinnen, Experten für ADHS und Entwicklungsverzögerung, für Hör- oder Sehbeeinträchtigungen um betroffene SchülerInnen kümmern, wenn nötig täglich? Eine Psychopädagogin ist 25 Stunden pro Woche vor Ort, um alles zu koordinieren, sie organisiert auch Termine bei Ärzten und Psychologen, wenn sie mit SchülerInnen und deren Eltern der Meinung ist, dass sie notwendig sind. Außerdem berät sie in Fragen der Berufs- und Studienwahl, macht also vieles, was bei uns wohl angeboten wird, nicht aber so praktisch an einem Platz, zu dem die SchülerInnen an jedem Schultag Zugang haben.

Kinder mit nicht-spanischer Muttersprache sind an 'meiner' Schule die absolute Ausnahme, was den Lehrkräften die Arbeit erleichtert und nicht in jedem Stadtteil Granadas der Fall ist. So es irgendwie möglich ist, werden alle SchülerInnen im Klassenverband unterrichtet, für Förderstunden treffen sie, wenn nötig, zum Beispiel einige Stunden pro Woche eine Dyslexielehrerin.

Die LehrerInnen hier unterrichten nur ein Fach, arbeiten (in Andalusien) in der Regel 18 Wochenstunden in der Klasse (egal, was sie lehren), und haben sieben weitere Stunden Anwesenheitspflicht im Schulgebäude: drei für Supplierungen und Aufsichten während der Pausen, vier für Schüler- und Elterngespräche. Die Bezahlung ist in Andalusien niedriger als in anderen Regionen Spaniens, das Leben sei aber auch billiger als im Norden, sagt man mir.

Eine echte Pause gibt es an 'meiner' Schule nur einmal am Tag, von 11.15 bis 11.45 Uhr. Zwischen den 60 Minuten dauernden Unterrichtseinheiten verlassen die Kinder und Jugendlichen ihren Klassenraum nur, um das WC aufzusuchen, theoretisch jedenfalls. Wie bei uns gibt es welche, die am Gang Kontakt zu anderen suchen oder neugierig sind oder Bewegung brauchen. Ein paar Sonderunterrichtsräume gibt es am IES Pedro Soto de Rojas, natürlich auch einen Turnsaal und ein großes Freigelände, das für Sport und während der Pause genutzt wird.

Fast alle SchülerInnen bringen ein ordentliches Jausenbrot von zu Hause mit (ich sehe oft Tortillafüllung oder Schinken in den Bocadillos), und manche holen sich Nachschub vom Buffet, das auch einen separaten Raum für Lehrkräfte hat und neben Kaffee und Tee frisch gepressten Orangensaft anbietet, getoastete Brotschnitten mit Paradeisern und Olivenöl sowie Schokobrezen.

Ich bemerke nur wenige übergewichtige Schülerinnen und ganz selten einen rundlichen Schüler, und die meisten sind sportlich-bequem gekleidet -- die männlichen Jugendlichen wirken durchwegs, als wären sie auf dem Weg zum Fußballtraining. Die wenigsten Mädchen und jungen Frauen tragen Make-up, gefärbtes Haar fällt mir bei keiner der Schülerinnen auf, ganz wenige haben ein kleines Ohrpiercing, Burschen wie Mädchen. Insgesamt scheinen mir diese andalusischen SchülerInnen jünger als meine eigenen in Österreich, sie sind sehr aufgeschlossen und gesprächsbereit mir gegenüber (am liebsten in der Muttersprache, denn Englisch fällt ihnen meist schwer, wie sie sagen). Studenten und Studentinnen an der Universität von Granada, einer der ältesten und größten im Land, schauen unseren OberstufenschülerInnen ähnlicher: individuellere Kleidung, Frisuren, Haarfarben.

Was während mancher Unterrichtsstunden auffällt, und das hängt vielleicht auch mit der Klassengröße von 30 oder mehr SchülerInnen zusammen, ist der hohe Lärmpegel. Vor allem in den zweiten, dritten und vierten Klassen hätte ich mir oft mehr Ruhe (ja, Disziplin) gewünscht, denn wenn fast alle laut sind, können nur wenige lernen. Finde ich. Und sagte ich manchmal auch den Dreizehn- bis Fünfzehnjährigen. Manche gaben mir recht, viele tratschten weiter. In den beiden letzten Schuljahren, die nicht mehr ESO (Educación Secundaria Obligatoria, also Pflichtschule) sind sondern BAC (Bachillerato, also Vorbereitung auf die Abschlussprüfungen, die eine der Voraussetzungen für ein Hochschulstudium sind), geht es motivierter, zielstrebiger, ruhiger zu, obwohl auch hier die Klassen mit 30 SchülerInnen sehr groß sind.

Die Bachillerato-SchülerInnen müssen alle Schulbücher bezahlen, in den zehn Pflichtschuljahren sind die Bücher gratis, aber nur geliehen. Vier Jahre lang wird ein Buch im Schnitt verwendet, das heißt keine/r darf unterstreichen oder gar Antworten ins Buch schreiben. An meinem IES Pedro Soto de Rojas, wo wie an vielen Schulen bilingualer Unterricht stattfindet, gibt es in manchen Fächern für jeden Schüler, jede Schülerin zwei Schulbücher mit identem Inhalt: eines auf Spanisch, eines auf Englisch. Im Unterricht oder zu Hause können Wissbegierige also sehr viel Vokabular und einiges an Strukturen lernen, indem sie idente Kapitel parallel durchgehen. Die Lehrerinnen, deren Fremdsprachenkenntnisse gut bis sehr gut sind, arbeiten gut mit diesem System, die anderen tun sich schwer. Das bilinguale Modell steht erst am Anfang und man hofft, (junge) LehrerInnen mit noch besserem Englisch dafür zu begeistern. Vor allem die Aussprache ist ein Problem, und die ayudantes (teaching assistants, muttersprachliche SprecherInnen meist aus den USA) können nur bedingt ausgleichen, weil sie einfach zu selten und zu kurz in den Klassen sind.

Ich habe nicht den Eindruck, dass die jungen SpanierInnen weniger englischsprachige Musik hören als unsere Jugendlichen, Videospiele sind ebenfalls populär und werden auf Englisch gespielt, (US-amerikanische) Filme werden hier wie dort nicht im Original geschaut. Warum also tun sich viele SpanierInnen schwerer mit der Fremdsprache als viele ÖsterreicherInnen?


Granada und 'meine' Schule waren ein Erlebnis, das Hospitationspraktikum eine wirkliche Bereicherung.

Nicht abgehen werden mir

* meine Dusche in Granada (Stichwort Wasserdruck; ja, dritter Stock; aber hallo, 21. Jahrhundert)
* der Tortilla-Kochgestank, der einmal aus der Nachbarwohnung in meine gekrochen ist, durch die Heizungsschlitze! (andererseits -- zumindest gibt es eine Heizung/ Klimaanlage)
* das Brot in Spanien -- ich habe wirklich alles probiert, aber es schmeckt mir nicht


Nein, danke

Hausbrot? Aus welchem Haus?

* der Lärm in den Klassen während des Unterrichts und in den Gängen während der Pausen

Vermissen werde ich
* alles andere

Und aus.