Soweit der Plan. Nur - marschieren tun sie nicht, die Sechszehn- und Siebzehnjährigen, sie schleichen. Zuerst kommen sie ein paar Minuten zu spät zum Ausgang der Schule, dann gehen sie so langsam, dass wir erst ganz knapp vor Beginn der Vorstellung eintreffen. Aber jetzt die Überraschung: weder unsere Jugendliche noch fremde, etwas jüngerer Kinder tratschen, spielen mit ihren Handys oder machen irgendwelche Geräusche während des 70 Minuten langen Stückes. Beeindruckend, vor allem angesichts des Lärms, den ich aus manchen Schulstunden gewöhnt bin.
Parque de las Ciencias, das Ziel unzähliger Volksschulklassen und vieler Touristen mit Kindern |
Teatro Caja Granada, unser Ziel |
Wir sehen also Don Juan Tenorio, das beliebteste spanische Theaterstück des 19. Jahrhunderts, adaptiert für junge Spanier und Spanierinnen, und es funktioniert. Es gefällt den meisten, die Längen, die sich durch die anspruchsvolle Sprache ergeben, sind erträglich, der Ausflug also ein Erfolg. Erst, als unsere SchülerInnen rasch zurück gehen und vor Beginn der vierten Stunde beim Instituto sein sollen, wird es anstrengend. Sie schlendern, tratschen hingebungsvoll, essen die mitgebrachten Bocadillos, versuchen sogar am Weg, Futternachschub zu kaufen, was absolut verboten ist.
Schweißgebadet und feucht vom Nieselregen erreichen wir die Schule, und ich überlege kurz, mir den Rest der vierten Stunde frei zu nehmen. Aber ich bin zum Arbeiten hier, also weiter im Stundenplan: Música bilingual in einer ersten Klasse ESO, also mit Zwölfjährigen. Wieder eine Überraschung: die Rhythmusübungen mit und ohne Metronom, mit Hörbeispielen und einfachen Leseübungen machen den Kindern Spaß - und dem Lehrer. Er spricht einzelne Störende sofort namentlich an und weist sie zurecht, sodass eine angenehm ruhige Atmosphäre herrscht - wenn nicht gerade zweiunddreißig Zwölfjährige klopfen, klatschen oder mit dem Fuß den Takt schlagen. Sehr nett.
Eine zweite bilinguale Stunde geht sich heute noch aus, Geschichte und Geographie für Dreizehnjährige. Zuerst ein tolles Referat eines in Mexiko aufgewachsenen Schülers, der die Tradition des Día de los Muertos erklärt und mit Photos seiner Familie hier und in Nordamerika belegt. Dann bespricht der Lehrer in der Muttersprache und sehr kursorisch die Rollen der Geschlechter im Mittelalter, er elizitiert immer wieder englische Begriffe wie knight, die schon bekannt sein sollen, und schreibt sie an die Tafel. Schließlich müssen die Kinder mit den zwei Geschichtsbüchern arbeiten, die sie wie in jedem Fach, das bilingual unterrichtet wird, haben: sie vergleichen selbständig die Zeichnung eines mittelalterlichen castle mit el castillo en la Edad Media im spanischsprachigen Textbuch und erstellen eine Vokabelliste.
Um die Aussprache der doch schwierigen Wörter kümmert man sich heute nicht mehr, denn jetzt wollen die Schülerinnen und Schüler wissen, wen ich inspiziere, den Lehrer oder sie. Hmmm. Ich stelle mich also doch vor und raube dem Kollegen eine Viertelstunde, in der wir über die Geographie Österreichs und seiner Nachbarstaaten sprechen und ich versuche festzuhalten, dass nicht das ganze Land aus verschneiten Bergen besteht. Hmmm hmmm. Wir in jeder Klasse, in der ich bisher war, kennen auch hier ein paar unsere Hauptstadt aus Erzählungen oder haben Verwandte im deutschsprachigen Ausland. Und endlich meine Rattenfängerfrage: Was ich unbedingt kosten muss?
Tapas!
Welche Tapas?
No importa. Y la cerveza!
Mag ich nicht.
Was, es gibt Erwachsene, die Bier nicht mögen? Vaya.
Jetzt habe ich einige Kinder wesentliche Lebensweisheit gelehrt und kann heim gehen und mich hinlegen. Ja, heute muss sie sein, la siesta. Ich übertreibe und schlafe an die vier Stunden. Gegen neun verlasse ich zeitgleich mit zwei sehr alten Damen das Haus -- wo die wohl noch hin wollen? -- und mache ich mich auf den Weg zur Platería, eines der ältesten Flamencolokale der Stadt, und ich bin nicht die einzige Touristin dort. Seit 70 Jahren gibt es diesen Verein zur Pflege des Flamencos, seit fast 50 Jahren trifft man sich im Lokal La Platería, dessen Obergeschoße ein kleines Museum beherbergen. Und das sehe heute Abend nur ich, als einzige Touristin. Mit einer netten Kollegin und einer ihrer Freundinnen darf ich mehr sehen als die anderen. Warum? Weil uns der Latein- und Griechischkollege Zugang gewährt und uns durch das Haus und auf die Terrasse führt. Eigentlich sollte er die Eintrittskarten zur Show verkaufen ab zehn Uhr abends, aber eine Viertelstunde kann man die Besucher schon warten lassen. Absolut!
La Platería |
Im Stiegenhaus Ankündigungen längst vergangener Flamencoshows |
Im Museum, ... |
... wo echte Kenner Stunden verbringen können |
Ja, die Terrasse wurde nicht ohne Grund so gebaut: La Alhambra im Hintergrund |
Wieder ein Grund, einen Photographiekurs anzudenken |
Nach unserer Tour stellen wir drei Frauen uns brav an vor dem großen Saal neben dem Lokal, und gegen elf erklärt uns ein Mitglied der Peña Platería, was uns jetzt erwartet. Leider, so sagt er, sei Irene la Serranilla schwanger und werde heute nur eine abgespeckte Version ihrer Tanzkunst zeigen können. Mmm. Ich werde wahrscheinlich nicht noch einmal schwanger werden, aber so tanzen wie Irene aus Madrid, die hier in Granada eine Flamenco-Tanzschule leitet, werde ich ganz sicher nie. Auch der Tänzer El Indio, der Sänger und der Gitarrist sind umwerfend gut und jede Nachtschicht meinerseits wert.
Viele Touristen sind hier heute Nacht, aber auch jede Menge Stammgäste und Vereinsmitglieder, und wir alle sind hingerissen. Sollen die anderen nach der Vorführung von Bar zu Bar ziehen oder in eine der großen Diskotheken am Rand der Altstadt: ich habe ein bisschen Sangría getrunken, wandere den Albaicín hinunter nach Hause und überlege, wann ich wieder nach Granada kommen könnte. Wie werden wohl die Straßen ausschauen, wenn die Weihnachtsbeleuchtung aktiviert ist, die schon fast überall hängt? Hmmmmm.
Es ist ein Jammer mit der Belichtung um halb ein Uhr früh |