Ganz schön anstrengend, so ein Hospitationspraktikum, obwohl ich nichts korrigieren muss. Die gestrige Spanischstunde der vorletzten Schulstufe, in der wir über spanische Literatur im Mittelalter gelernt haben, vergesse ich nicht so bald: wieder ist die Klasse groß, 15 junge Männer, gleich viele junge Frauen. Aber die meisten passen auf, machen mit, übertragen das gut strukturierte Tafelbild in ihre Mappen, und sie erfahren nebenbei auch wichtige Tipps für schriftliche und mündliche Prüfungen, was ihnen spätestens Ende des nächsten Schuljahres helfen wird. Ab und zu erklärt die wirklich kompetente und motivierte Kollegin noch Fremdwörter, die in ihrem Vortrag notwendig sind, und zwar auf eine durchdachte Art, die von viel Erfahrung und guter Vorbereitung zeugt. Eine gute Stunde.
Fast alle Schülerinnen und Schüler des IES Pedro Soto, die nicht in der Special Needs-Gruppe sind, machen nach Ende der Schulpflicht mit 16 Jahren an derselben Schule weiter, entweder mit einer praktischen Ausbildung, die in einem Seitentrakt stattfindet, den ich noch nicht besichtigt habe; oder, und das ist die große Mehrheit, mit dem zweijährigen Bachillerato, das auf ein Universitätsstudium vorbereiten soll. Diese beiden Jahre werden hier nicht bilingual geführt, nur die vier Jahre davor, was mir nicht verständlich ist: jetzt, wo die meisten Schülerinnen und Schüler die Fremdsprache halbwegs beherrschen, werden Geschichte, Geographie, Physik, Sport und Musik plötzlich ausschließlich in der Muttersprache angeboten. Dafür muss es Gründe geben, und die will ich herausfinden.
Was ich in kurzen Unterhaltungen im Lehrerzimmer erfahre, lässt mich fast Mitleid haben mit den Kollegen hier: Lehrverpflichtung sind 18 zu haltende Wochenstunden, dazu kommen drei Stunden Supplierbereitschaft und vier Stunden für Elterngespräche (vormittags und nach dem Unterricht) und Konferenzen. Macht 25 Stunden reine Anwesenheit im Haus, noch ganz ohne Vorbereitungszeit und Korrekturen. Uffff.
Meistens bin ich nicht allein im Lehrerzimmer. Und lieber ist mir das Buffet mit frischgepresstem Orangensaft. |
Die Schule hat viele international orientierte Lehrkräfte, zur Zeit ist man Teil eines ERASMUS+ Projekts namens ADELE, bei dem auch ein Badner Gymnasium involviert ist. Am 23. des Monats werden Herr Direktor Serrano und ein Kollege sowie meine Englischkontaktperson Charo mit einigen Jugendlichen nach Baden reisen. Im Mai kommen dann die Partnerinnen aus Österreich mit ein paar Schülerinnen und Schülern nach Granada. Es ist nicht das erste derartige Projekt, man war auch schon bei COMENIUS mit dabei, wie die Außenwand der Schule verrät.
Heute sehe ich neben zwei Englischstunden, in denen ich ein bisschen erzähle und von den Kindern einer dritten und einer vierten Klasse (9. bzw. 10. Schulstufe) sehr offen empfangen werde, Unterricht, der sich Bilingual ESO History nennt. Im letzten Pflichtschuljahr kennen sich die Jugendlichen schon aus mit diesem System, ich beginne es langsam zu begreifen. Der Kollege spricht fast ausschließlich Spanisch, elizitiert Vorwissen zur Industrial Revolution, schreibt aber alle Begriffe auf Englisch an die Tafel. Vergangene Stunden werden für den übermorgigen Test anhand eines bebilderten Textes wiederholt, der seitenlang an das Whiteboard projiziert wird und für die SchülerInnen offensichtlich online verfügbar ist. Immer wieder werden sie aufgefordert, Bilder zu beschreiben, möglichst auf Englisch, wobei es um einfache Darstellungen einer Industriestadt oder Beispiele von Kinderarbeit geht. Der Kollege, der die Klasse auch in Geographie unterrichtet, arbeitet sehr strukturiert und ist gut vorbereitet. Wie die meisten seiner SchülerInnen hat er einen sehr ausgeprägten spanischen Akzent im Englischen.
Rechts das vorbereitete Bildmaterial, links das Tafelbild auf Englisch |
Viele Kinder schreiben mit, passen auf, stellen Fragen. Andere malen oder schauen durch die offenen Jalousien und sehen ...
... die Gipfel der Sierra Nevada, die schon ein bisschen Schnee tragen |
Freier Blick auf die Berge |
In meiner letzten Stunde heute sagt endlich ein Lehrer, was ich mir seit gestern in einigen Klasse denke: es ist zu laut zum Arbeiten, und die Kinder müssen verstehen, wozu sie hier sitzen. Der Kollege unterrichtet in einer 9. Schulstufe ein interessantes Fach, in dem heute SchülerInnen über Frauen in traditionell männlich dominierten Berufen referieren: Cambios sociales y de género. Eigentlich sind die 25 Buben und drei Mädchen weit nicht so laut wie zum Beispiel die gestrigen ErstklässlerInnen. Andererseits sollten sie in ihrem Alter wissen, wie man sich benimmt, argumentiert der Kollege, und er kritisiert scharf die mangelnde Qualität ihrer Hausübungstexte, die er korrigiert hat: die Jugendlichen hätten Stellung nehmen sollen zu einem Film nach Wahl, in dem traditionellen Geschlechterrollen thematisiert werden. Bloße Inhaltsangaben seien Zeitverschwendung, genauso wie ein einziger Absatz auf einem Blatt Papier. Die Ansprache scheint die SchülerInnen zu treffen, und mir gefällt sie. Ich könnte nicht unterrichten in einem Raum, wo die Mehrheit nicht mitmacht sondern tratscht und/oder nicht bereit ist, die Zielsprache zu verwenden.
Dabei sind viele Kinder im Sprachunterricht leicht zu begeistern, vor allem, wenn einer der Englischlehrer ein Video einsetzt zum Beispiel zur Wiederholung der unregelmäßigen Verben oder zum Thema Bonfire Night. Aber bei der Arbeit mit dem Schulbuch, das österreichischen Unterstufenwerken sehr ähnlich ist, wird den Jugendlichen merkbar langweilig, und sie beginnen zu stören. Mich jedenfalls, denn den drei Englischkollegen, die ich bis jetzt begleiten durfte, scheint der Lärm wenig auszumachen, sonst würden sie ihr classroom management überdenken.
Morgen soll ich über das österreichische Schulsystem berichten. Ich werde ohne Medieneinsatz arbeiten, die Tafel muss reichen. Heute wollte ich den Wahlkampf im Fernsehen verfolgen -- allein, ich warte seit Sonntag Abend darauf, dass jemand das kaputte TV-Gerät repariert oder ersetzt. Hmmm. Mañana.
Beim Verlassen des Schulgebäudes muss ich den Portier bitten, mir die beiden Türen zu öffnen: Kommen ist einfach, sagt er; das Gehen ist das Schwierige. Stimmt. Schnell weg, denn ich will noch an die Universität heute, zum Einkaufen.